Beschreibung
P 1019 – Ableitung neuer, verbesserter Festigkeitskriterien für Stahlbauteile
Das Bemessungskonzept, das in den technischen Regelwerken des Stahlbaus enthalten ist, zielt auf die Erfassung der wirklichen Tragfähigkeit von Bauteilen ab. Die zu Grunde liegenden Tragfähigkeitsfunktionen werden in der Regel an Versuchen kalibriert. Dabei werden jedoch rein phänomenologische Ingenieurmodelle angewandt, die die Grenzlastvorhersage näherungsweise mit der Streckgrenze oder der Zugfestigkeit des Materials verknüpfen. Dies hat zwei entscheidende Konsequenzen:
(1) Die Vorhersagegenauigkeiten der aktuellen Festigkeitsfunktionen sind begrenzt, da die zugrundeliegenden Modellvorstellungen das tatsächliche Versagensverhalten des Materials nicht berücksichtigen. Die derzeit vorhandenen Streuungen entstammen der Nichtberücksichtigung des tatsächlichen Bruchmechanismus und der vorausgehenden Schädigungsgeschichte, die maßgebend von den tatsächlichen Zähigkeitseigenschaften abhängen.
(2) Der Einsatz höherfester Stähle und die Ausnutzung ihrer Leistungsmerkmale wird deutlich eingeschränkt, da bei hochfesten unlegierten Baustählen die Einstellung hoher Streckgrenzen nur auf Kosten der Gleichmaßdehnung möglich ist. Da die Regelwerke hier aber Mindestwerte für Gleichmaßdehnung und Streckgrenzenverhältnis vorschreiben ohne das spezielle Versagensverhalten höherfester Stähle zu berücksichtigen, werden diese Stahlsorten unberechtigterweise oftmals von der Anwendung ausgeschlossen.
Die Anwendung hochfester Stahlsorten für Stahlbauteile verspricht jedoch ökonomische und ökologische Vorteile, etwa durch Kosten- und Energieeinsparung bei geringerem Materialaufwand. Eine Verbesserung der Festigkeitskriterien ist also unbedingt erstrebenswert. In ähnlich gelagerten Projekten zum Einsatz von Druckbehälterstählen (FOSTA P 758 und FOSTA P 950) wurden durch Verwendung neuer Festigkeitskriterien, die die Duktilitätseigenschaften des Werkstoffs berücksichtigen, neue Sicherheitsfaktoren für die Anwendung hochfester Stähle im Druckbehälterbau abgeleitet. Der Kernpunkt der Methodik war dabei eine schädigungsmechanische Untersuchung des tatsächlichen Versagensverhaltens durch die Implementierung des phänomenologischen BAI-WIERZBICKI-Modells (BW) als Rissinitiierungskriterium zur Versagensdetektion. Das Schadenskriterium beruhte hierbei auf Schädigungsortskurven die mit Hilfe von Simulationen mit dem mikromechanisch motivierten schädigungsmechanischen Modell nach GURSON-TVERGAARD-NEEDLEMAN (GTN) abgeleitet wurden. Allerdings kann die dort angewandte Vorgehensweise nicht ohne Weiteres auf Bemessungsregeln für den allgemeinen Stahlbau übertragen werden.
Im vorliegenden Projekt wurde daher der Übertrag der Methodik auf Stahlbauteile vorgenommen und gleichzeitig eine umfassende Untersuchung des Traglastverhaltens moderner Stähle durchgeführt. Die experimentellen Untersuchungen ermöglichen die Analyse des tatsächlichen Traglast- und Bruchverhaltens sowie den Vergleich mit den Bemessungsregeln des EC3. Für einzelne Geometrien und Stahlgüten konnten dabei teils deutliche Sicherheitsreserven festgestellt werden. Des Weiteren dienen die Versuche der Validierung des Schädigungsmodells. Hierbei zeigte sich, dass der Ansatz grundsätzliche zur Abbildung des Versagensverhaltens geeignet ist, aber aufgrund der Netzgrößenabhängigkeit noch Schwierigkeiten bei der Korrelation der Modellparameter zu Materialkennwerten bestehen.
FOSTA – Forschungsvereinigung Stahlanwendung e. V.
Veröffentlichung:
April 2019
Autoren:
Prof. Dr.-Ing. M. Feldmann, Dr.-Ing. S. Schaffrath, Prof. Dr.-Ing. W. Bleck, Prof. Dr.-Ing. S. Münstermann, Dr.-Ing. V. Brinnel
P 1019 / IGF-Nr. 17925 N