Beschreibung
P 744 – Validierung und Erweiterung von Berechnungsmethoden für die Blechumformung, Betriebsfestigkeits- und Crashauslegung im Fahrzeugbau mit Stahl
Der vorliegende Bericht bildet den konsequenten Abschluss der vorangegangen zwei Forschungsprojekte, die in enger Zusammenarbeit zwischen Stahlherstellern, Forschungsstellen und Automobilherstellern durchgeführt wurden. In den beiden vorangegangenen rojekten stand die Kennwertermittlung aktueller Feinblechsorten sowie die Formulierung eines mathematischen Modells zur Fließkurvenbeschreibung im Mittelpunkt des Interesses. Letzteres dient der Verkürzung von Entwicklungszeiten im Automobilbau. Neben der Charakterisierung der Feinblechgüten wurde die Dokumentationsrichtlinie (PuD, heute SEP 1240) entwickelt, die eine standardisierte Versuchsdurchführung, -auswertung und Datenbereitstellung regelt. Wesentliches Ziel des vorliegenden Projektes war die Validierung und Erweiterung der entwickelten Modelle zur rechnerischen Kennwertermittlung plastischer und zyklischer Kennwerte und die Erarbeitung von Richtlinien zur Verwendung der geeigneten Parametersätze unter Berücksichtigung der Eingruppierung von Stahlsorten in Stahlfamilien.
Zur Ermittlung der elastisch/plastischen Kennwerte im Zugversuch wurde der E-Modul im Anlieferungszustand, nach Vorverformung sowie nach Vorverformung und Wärmebehandlung W170 bestimmt. Die Richtungsabhängigkeit der E-Module bleibt mit der Vorverformung erhalten. Überwiegend sinkt der E-Modul bereits ab einer Vorverformung von 2% erheblich ab. Die Wärmebehandlung hebt den Abfall des E-Moduls nach Vorverformung vollständig auf. Die Richtungsabhängigkeit des Anlieferungszustandes stellt sich nach der W170-Behandlung wieder ein. Bei einigen Stählen werden bei 10% Vorverformung sogar höhere Werte als im Ausgangszustand erreicht.
Neben der Beurteilung von Umformbarkeit bzw. Rückfederung sollte eine Vorgehensweise zur systematischen Erstellung von Werkstoffkenndaten für die Simulation etabliert werden. Es zeigte sich, dass die mikrolegierten Stähle sich mit der Kombination aus Fließkurvenapproximation nach Estrin-Mecking und Fließortkurve nach Hill48 am besten abbilden lassen, während bei anderen Stählen die besten Ergebnisse mit der Fließortkurve nach Barlat89 erzielt wurden. Ausgehend von dieser Untersuchung sollte keine generelle Empfehlung zur Abbildung einer bestimmten Stahlsorte oder eines Stahltyps ausgesprochen werden.
Zur Validierung des Modells aus dem zweiten Kennwerteprojekt wurden dynamische Zugversuche bei Raumtemperatur durchgeführt. Erwartungsgemäß zeigen alle Werkstoffe eine positive Dehnratenabhängigkeit.
In Ergänzung zu dem klassischen Zugversuch wurden zur Untersuchung des Werkstoffverhaltens bei hoher Dehnung Bulgetests, Scherzugversuche und Schichtstauchversuche durchgeführt. Der Vergleich der unterschiedlichen Versuchstypen zeigt, dass mit Ausnahme des Werkstoffes S460MC im Bulgetest immer die größten Umformgrade erreicht werden. Das Spannungsniveau im Scherzugversuch liegt für alle Werkstoffklassen immer höher, wohingegen das Verfestigungsverhalten
in beiden Versuchstypen annähernd gleich beschrieben wird. Bei den hochfesten Werkstoffen hingegen stimmt das Spannungsniveau, dafür wird aber das Verfestigungsverhalten nicht mehr übereinstimmend dargestellt. Das gleiche Verhalten wird bei den Schichtstauchversuchen beobachtet.
Zur Anwendung des entwickelten Modells und der Modellerweiterung wurden quasistatische Familienparameter bestimmt, mit denen es möglich ist, das Verhalten von Werkstoffen vorherzusagen, die nicht mit zur Bestimmung der Berechnungsparameter herangezogen worden sind. Es hat sich herausgestellt, dass eine solche Vorhersage und somit auch eine Reduzierung von Experimenten und damit auch von Kosten möglich ist, auch wenn die Ergebnisse einer Familienanpassung erwartungsgemäß weniger genau sind als die der Einzelanpassung. Die Aussagegenauigkeit für eine rein quasistatische Beanspruchung ist deutlich besser als für den dynamischen Zugversuch. Insgesamt ist die Aussagegenauigkeit bei den einphasigen Stählen höher.
Zur Modellvalidierung für Stähle mit Restaustenit wurde eine intensive Literaturrecherche durchgeführt und Modelle vorgestellt, die einen Ansatz von Kocks- Mecking verwenden. Im Rahmen des Projektes wurde gezeigt, dass sich dieser hervorragend mit dem gefundenen Modell kombinieren lässt und somit sich die Aussagegenauigkeit der jeweiligen Berechnung verbessert.
Für die zyklischen Kennwerte wurde im Sinne der Entwicklung Mechanismus orientierter Abschätzungsverfahren das im Folgenden beschriebene Vorgehen angewandt. Da bei der Durchführung von LCFVersuchen gemäß SEP 1240 keine Rissgrößenmesswerte erfasst werden, scheiden Schädigungsmodelle, die eine Bewertung auf dieser Basis vornehmen, a priori aus. Anhand der von Heitmann vorgeschlagenen Methode ist es gelungen, aus experimentell bestimmten Manson-Coffin-Parametern einen Schädigungsparameter abzuleiten, mithilfe dessen die Versagensschwingspielzahl abgeschätzt werden kann. Es wurde dargelegt, wie daraus ihrerseits die elastischen und plastischen Anteile der Dehnungswöhlerlinien (unbekannter) Werkstoffe abgeschätzt werden können. Die Vorhersagegüte dieses Modells ist jedoch geringer als diejenige anderer Modelle wie z. B. nach Wagener, da die Rissfortschrittsparameter nicht auf bisher noch nicht zugänglichen Versuchsergebnissen basieren, sondern aus Modellen abgeschätzt werden mussten.
Weiterhin wurde untersucht, ob sich eine infolge zyklischer Verformung mögliche Restaustenitumwandlung von TRIP-Stählen nachweisen lässt. Dazu wurden röntgenografisch die Restaustenitanteile in verformten und unverformten Probenbereichen und in Abhängigkeit von der eingestellten Dehnungsamplitude gemessen. Bei den hier untersuchten Werkstoffen und den angewandten Beanspruchungsamplituden im Bereich Raumtemperatur und leicht erhöht lagen die Unterschiede im Bereich der Messunsicherheiten des Messverfahrens. Bei -40 °C ließ sich jedoch eine nahezu vollständige Restaustenitumwandlung nachweisen.
Dieses Forschungsvorhaben wurde an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, dem Institut für Eisenhüttenkunde der RWTH Aachen (IEHK), Aachen, dem Institut für Maschinelle Anlagentechnik und Betriebsfestigkeit der TU Clausthal (IMAB), Clausthal, dem Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF), Darmstadt und dem Stahlinstitut VDEh, Düsseldorf, mit fachlicher Begleitung und mit finanzieller Förderung durch die Forschungsvereinigung Stahlanwendung e. V., Düsseldorf, aus Mitteln der Stiftung Stahlanwendungsforschung, Essen, durchgeführt.
Autoren:
C.P. Bork, B. Reichert, R. Wagener, K. Dahmen, R. Masendorf, A. Geffert, J. Gerlach, M. Menne, E. Till
Veröffentlichung:
2013